Un­ter­su­chung von Ein­satz­mög­lich­kei­ten für die Tech­no­lo­gie Aug­men­ted Re­a­li­ty zur Be­hand­lung von Un­fallpho­bi­en

Masterarbeit von Silke Geisen

Motivation

Laut einer Statistik des ADAC krachte es 2006 in Deutschland über 2 Millionen mal. Davon waren ca. 1.900.000 Unfälle mit Sach- und 327.000 mit Personenschaden verbunden. Wer Opfer eines Unfalls wurde, wer etwas Schlimmes mit ansehen oder mitmachen musste, kann als Folgeerscheinung seelisch oder körperlich erkranken. Sehr häufig leiden Menschen nach einem Unfall auch an starker Angst. Durch solch ein traumatisches Erlebnis kann sich nachträglich bei den Betroffenen eine Angststörung oder auch eine Phobie entwickeln. 

Eine Phobie ist die irrationale und anhaltende Angst vor bestimmten Situationen, Gegenständen oder auch Personen. Sie äußert sich zum Einen in dem unangemessenen Wunsch, die bestimmte Situation oder Objekt zu vermeiden. Zum Anderen kann sich eine Phobie auch in körperlichen Beschwerden ausdrücken, wenn der Betroffene beispielsweise wieder mit einem ähnlichen Objekt oder Situation konfrontiert wird. Der Stress der dabei entsteht kann sich u.a. durch erhöhten Puls, starkes Schwitzen oder beschleunigte Atmung äußern. Die Behandlung von Phobien kann durch eine Psychotraumatherapie erfolgen. Die klassische Traumatherapie geht dabei meist in drei Phasen vor. Die wichtigste Phase ist dabei die, in der sich der Betroffene mit seiner Phobie auseinander setzt. Dafür gibt es verschiedene Verfahren, wobei das so genannte Konfrontationsverfahren das bekannteste und erfolgreichste für Phobien ist. Das Ziel bei diesen Konfrontationsverfahren ist, den Betroffenen immer wieder mit dem angstauslösenden Reiz zu konfrontieren und ihn dadurch an den Reiz zu gewöhnen, ihn zu desensiblisieren. 

Mit der Zeit wurden speziell für die Konfrontationsverfahren auch rechnergestützte Methoden eingesetzt. Bei dieser so genannten VRET (Virtual Reality Exposure Therapy) wird der Betroffene in eine virtuelle Welt versetzt. Dort wird er ebenfalls virtuell mit dem angstauslösenden Reiz konfrontiert wird. Auch diese virtuellen Reize lösen die Angst bei dem Betroffenen aus,  jedoch ohne dass er sich in einer realen Gefahrensituation befindet. Diese Art von Konfrontation bringt einige Vorteile mit sich, u.a. können dadurch zeitliche Kosten reduziert werden, da die Behandlung im Büro des Therapeuten statt finden kann. Dadurch werden sowohl unkalkulierbare Faktoren der Umgebung ausgeschaltet, als auch das der Patient sich plötzlich in einer peinlichen Situation in der Öffentlichkeit befindet. Ein weiterer wichtiger Faktor ist, dass der Therapeut in diesem Szenario die Umgebung kontrollieren kann. Zusätzlich kann er die Dosierung der Konfrontationselemente genau auf den Patienten abstimmen. 

Die Technologie Augmented Reality, kurz AR, ist eine Form der Mensch-Maschine- Interaktion, bei der die Realität mit computergenerierten Bildern angereichert wird. AR wurde bisher schon in einigen Fällen für die Behandlung von Phobien (Spinnenphobie, Phobie vor kleinen Tieren, Höhenangst) eingesetzt. Die Technologie eröffnet neue Perspektiven und zusätzliche Vorteile gegenüber der virtuellen Therapie für die Behandlungen: Die Betroffenen werden in einer realen Umgebung mit einem virtuellen angstauslösenden Reiz konfrontiert. Außerdem wird der Therapeut mit in das Szenario integriert.

Ziel der Arbeit

Das Ziel der Arbeit ist, die Einsatzmöglichkeiten der Technologie Augmented Reality zur Behandlung von Unfallphobien zu untersuchen. Basierend auf den Konzepten der klassischen Therapiemethoden, soll ein Konzept für eine Therapie mit Augmented Reality entwickelt werden. Dafür muss zunächst die klassischen Therapie analysiert und überlegt werden, wie sich Augmented Reality sinnvoll in eine Therapiebehandlung integrieren lässt. 
Das Konzept für die Augmented Reality Anwendung soll sich dabei an die klassischen Verfahren für die Behandlung von Phobien anlehnen. 

Daraufhin muss geklärt werden, wie sich ein solches Konzept für die klassischen Verfahren in Augmented Reality umsetzen lassen beziehungsweise sie mit Hilfe von Augmented Reality und den Methoden aus der Computergrafik realisiert werden können.

Das Konzept der Augmented Reality Anwendung soll dabei flexibel sein, damit sich der Therapeut je nach Patient auf ihn einstellen kann. Außerdem soll sie sehr realitätsnah sein, der Betroffene muss ein hohes Gefühl von Präsenz dort haben. Besonders wichtig ist, dass in der Anwendung sowohl der Therapeut, als auch der Patient Kontrolle über die Szene haben.

Am Ende soll das Konzept für eine Therapie mit Augmented Reality prototypisch umgesetzt und getestet werden.

Realisierung

In der Psychotherapie sind mehre Methoden zur Behandlung von Unfallphobien bekannt. Das Bekannteste und am meisten eingesetzte dafür ist die so genannte Expositionstherapie,  zu dt. Konfrontationstherapie. Dabei wird der Patient mit dem angstauslösenden Reiz konfrontiert, im Falle der Unfallphobie mit der Straßensituation bzw. dem Auto. Die Therapiemethode wurde genau analysiert und deren genereller Ablauf sowie die wesentlichen Merkmale herausgearbeitet. Dabei hat sich ergeben, dass ein wichtiger Faktor ist, dass der Patient gestuft und langsam mit virtuellen Reizen konfrontiert werden muss. Beispielsweise sieht der Patient zuerst nur eine leere Straße, anschließend ein parkendes und später ein fahrendes Auto. Dieses Ergebnis dient als Grundidee für ein Therapiekonzept mit Augmented Reality. 

Auf dieser Basis ist anschließend das Konzept für eine Behandlung mit AR erarbeitet worden. Das Konzept besteht dabei aus einem Stufenplan, der verschiedene Elemente zur Konfrontation kombiniert. Dabei existieren sieben Stufen, die während des Therapieverlaufs Augmented Reality immer weiter mit einbinden und somit den Patienten immer näher an eine reale Konfrontation heranführen. Dadurch enthält er alle wesentlichen Merkmale der klassischen Therapie und verbindet diese mit den Vorteilen der Computergrafik. In Abbildung 1 ist der Stufenplan des Konzeptes mit diesen sieben Stufen zu sehen. 

Für einen Prototypen wurden die ersten vier Stufen dieses Stufenplanes realisiert. Zusätzlich zu diesen Stufen wurde ein so genannter „Sicherer Ort“ mit eingebunden. Dies ist eine übliche Methode aus der Psychologie, die während der Konfrontation zur Beruhigung des Patienten dient. Wenn der Patient unter zu hohem Stress steht bzw. zu große Angst hat, kann er sich per Knopfdruck an diesen Ort versetzen.

Die Umsetzung im Prototypen erfolgte mit Hilfe von OpenSceneGraph. Zur Realisierung wurde eine Trennung der Daten und Darstellung vorgenommen, um eine spätere Erweiterung des Systems zu vereinfachen. Für die Abbildung von verschiedenen Straßensituationen wurden Fotos als Hintergrund genutzt. Dafür musste das Problem gelöst werden, dass die Autos hinter einigen Objekten im Foto herfahren mussten, um realistisch zu wirken. Zur Lösung des Problems wurden transparente Texturen verwendet.

Zum Dosieren und Einblenden der einzelnen virtuellen Reize wurde ein Button-Menü für den Therapeuten erstellt. Um ein einfaches Hin-und Herschalten innerhalb der Software zu gewährleisten wurde in OpenSceneGraph ein zusätzlicher Switch (Observer-Switch) entwickelt, welcher das Observer-Prinzip realisiert. Für den Patienten wurden ebenfalls mögliche Funktionen zur Verfügung gestellt, um eine gewisse Kontrolle über die Situation seinerseits zu gewährleisten (Stopp-Funktion, Pausen-Funktion etc.).

Für das Tracking wurde ein einfacher Ansatz für ein optisches Tracking durch Verwendung des ARToolkits implementiert. Sobald ein Marker von der Kamera erkannt wird, wird die Realität mit dem Straßenbild und den Animationen überblendet. Durch das Einführen eines zusätzlichen Markers könnte später dasselbe Tracking für die reale Umgebungen verwendet werden. Je nachdem, welcher Marker gefunden wurde, wird die reale Umgebung überblendet oder nicht. Wird die Umgebung nicht überblendet, müssten die Animationen relativ zu dem Marker definiert werden.

Abschließend wurde die Software an 18 Probanden getestet. Die Konfrontationstests fanden zunächst auf einer großen Leinwand statt, vor welcher der Proband stand. Später lässt sich diese aber mit wenig Aufwand und ohne Probleme auf ein HMD übertragen. Dies ist von Nutzen, um den Patienten an die Technologie heranzuführen oder wenn der Patient kein HMD aufsetzen kann. Das kann beispielsweise daran liegen, weil er starke Kopfverletzungen hatte und nicht besonders gut etwas am/ auf dem Kopf tragen kann oder wenn ein Patient zusätzlich unter starker Klaustrophobie leidet.

Obwohl die Situationen und Objekte noch nicht optimal waren, konnte anhand von verschiedenen Konfrontationen trotzdem ein entsprechender Stress erzeugt werden. Die Resultate der Tests zeigten, dass die Behandlung von Unfallphobien mit Augmented Reality prinzipiell möglich ist.

Die Diplomarbeit entstand in Kooperation mit Dr. Wilfried Huck von der LWL-Klinik in  Hamm. Dr. Huck ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychologie und erfüllte während der Diplomarbeit die Funktion eines Beraters für psychologische Fragen.