Die Digitalisierung eröffnet produzierenden Unternehmen vielfältige Möglichkeiten, ihre Prozesse und Produkte zu verbessern. Ein besonders großes Potential bieten dabei Betriebsdaten technischer Systeme, die in immer größeren Umfängen verfügbar sind. Wie diese Daten für die Erweiterung und Modernisierung des Service-Portfolios sowie die Optimierung von Produktplanungsprozessen genutzt werden können, hat die Fachgruppe Advanced Systems Engineering der Universität Paderborn in zwei Forschungsprojekten untersucht, die jetzt beendet worden sind.
IMPRESS: Vom Produkthersteller zum Smart Service-Anbieter
Smart Services sind digitale Dienstleistungen, die auf den Daten intelligenter Produkte aufbauen und durch kontinuierliche Datenerfassung und -analyse einen Mehrwert für die Nutzer*innen generieren. Es sind eigenständige Marktleistungen, die Hand in Hand mit neuen, innovativen Geschäftsmodellen gehen. Eine erfolgreiche Einführung eines Smart Service-Geschäfts in einem produzierenden Unternehmen erfordert eine ganzheitliche Transformation zum Smart Service-Anbieter. Wie Unternehmen eine solche Transformation bestmöglich gestalten können, wurde im Rahmen des Forschungsprojekts IMPRESS („Instrumentarium zur musterbasierten Planung hybrider Wertschöpfung und Arbeit zur Erbringung von Smart Services“) untersucht, das von der Fachgruppe Advanced Systems Engineering des Heinz Nixdorf Instituts koordiniert und geleitet wurde. Zur Planung und Durchführung einer Transformation zu einem Smart Service-Anbieter wurde ein Instrumentarium mit einer Vielzahl an Lösungsmustern und Methoden entwickelt, das die Unternehmen dazu befähigt, eigenständig Smart Services in ihrer Organisation und auf dem Markt zu etablieren. „Lösungsmuster bieten die Möglichkeit, komplexe Sachverhalte verständlich zu vermitteln. Dadurch erhalten Unternehmen, insbesondere KMU, ein konkretes Werkzeug, um ihre Smart Service-Idee umzusetzen“, erklärt Prof. Dr.-Ing. Roman Dumitrescu, Professor am Paderborner Institut für Informatik und Direktor am Fraunhofer IEM. Basierend auf dem entwickelten Referenzmodell bildet die strategische Ausrichtung des Smart Service-Geschäfts die Ausgangslage der Transformation. Anhand der strategischen Anforderungen werden die Marktleistung und das Smart Service-Geschäftsmodell spezifiziert und die für die Transformation erforderliche inner- und zwischenbetriebliche Wertschöpfung definiert.
Das Forschungsprojekt wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Europäischen Sozialfonds (ESF) bis Juli mit rund 3,2 Millionen Euro gefördert. Die Forschungspartner, darunter das Heinz Nixdorf Institut, das Fraunhofer IEM und die TU Chemnitz, haben in Zusammenarbeit mit den Befähigerunternehmen Weidmüller, FIWARE und Diebold Nixdorf das musterbasierte Instrumentarium entwickelt. Unter Anwendung der Lösungsmuster haben die Anwenderunternehmen ISTOS, FREUND und MSF Vathauer ihre Transformation zu einem Smart Service-Anbieter vollzogen. Das Instrumentarium ist für Unternehmen eine hervorragende Möglichkeit, die Smart Service-Transformation systematisch zu planen und umzusetzen. Dabei bietet die eigens entwickelte Web-Applikation www.smartservice-transformation.com einen öffentlichen Zugang zum Instrumentarium.
DizRuPt: Fakten-basierte Planung zukünftiger Produktgenerationen auf Basis von Betriebsdaten-Analysen
Ob Smartphones, Haushaltsgeräte oder Industriemaschinen: Moderne Produkte sind zunehmend vernetzt und sammeln umfangreiche Daten über ihren Betrieb. Für die Hersteller dieser Produkte können die Daten dabei wertvolle Hinweise auf Erfolg versprechende Produktverbesserungen enthalten. Wie derartige datenbasierte Produktverbesserungen erzielt werden können, ist der Fokus des Projekts DizRuPt („Datengestützte Retrofit- und Generationenplanung im Maschinen- und Anlagenbau“), das ebenfalls von der Fachgruppe Advanced Systems Engineering des Heinz Nixdorf Instituts koordiniert und im Juni abgeschlossen wurde. Die im Vorhaben entwickelten Lösungen befähigen Unternehmen, Betriebsdaten ihrer Produkte eigenständig zu analysieren und die Ergebnisse zielgerichtet in der strategischen Produktplanung zu verwerten. Auf diese Weise können zum Beispiel Fehlerquellen oder Verhaltensmuster der Nutzer*innen identifiziert werden. Diese stellen dann den Ausgangspunkt für die datenbasierte Verbesserung zukünftiger Produktgenerationen dar. Laut Dumitrescu bietet dies weitreichende Vorteile: „Die klassische Produktplanung basiert in weiten Teilen auf geringen und überwiegend qualitativen Datenmengen sowie subjektiven Einschätzungen einzelner Personen. Durch die systematische Analyse von Betriebsdaten in der Produktplanung werden belastbare Erkenntnisse über den Betrieb der Produkte generiert, die eine objektivere Planung zukünftiger Produktgenerationen ermöglichen. Produkte können so betriebs -und nutzungsgerechter geplant werden.“ Die wesentlichen Ergebnisse des Projekts sind ein umfassender Referenzprozess sowie eine durchgängige Software-Unterstützung. Zahlreiche methodische Schritte innerhalb des Referenzprozesses werden zudem mit Gestaltungswissen unterstützt.
DizRuPt wurde vom BMBF mit rund 2,3 Millionen Euro ebenfalls für eine Dauer von drei Jahren gefördert. Neben der Universität Paderborn, bei der die Konsortialführung lag, waren die TU Berlin sowie die Fachhochschule Südwestfalen als Forschungspartner am Projekt beteiligt. Die softwareseitige Unterstützung der Arbeiten verantwortete CONTACT Software. Die Forschungsergebnisse wurden in vier Pilotprojekten mit den Anwenderunternehmen LASCO Umformtechnik, Weidmüller Interface, Diebold Nixdorf und Westaflex erfolgreich in der Praxis eingesetzt.